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Wie ich meine Abfahrtstechnik auf dem Rad verbessert habe

Es war schlimm. Nein, ernsthaft, es war sehr, sehr schlimm. Ich habe Abfahrten auf dem Rad gehasst, nicht nur, weil ich Angst davor hatte, sondern vor allem, weil ich so schlecht darin war. Oder war ich bloß so schlecht, weil ich Angst davor hatte? Vermutlich irgendwie beides.

Natürlich kann man einfach sagen, Wiederholung macht den Meister, aber das allein ist doch etwas abgedroschen und hat zumindest mir nie einen QOM auf Downhill-Segmenten beschert.



Als ich mich zu meinem ersten unsupported Ultradistanz-Rennen anmeldete, dem Three Peaks Bike Race, hatte ich bereits schon eine Alpenüberquerung auf einem viel zu schweren Fahrrad hinter mir. Man könnte also annehmen, ich hätte wissen müssen, worauf ich mich da einlasse. Nichtsdestotrotz waren meine Abfahrtskünste weder während meines Trips durch die Alpen der Rede wert, noch auf den 2000km von Wien nach Nizza, inklusive der 28000 Höhenmeter (und wo es raufgeht, geht’s bekanntlich auch wieder abwärts). Irgendwie schien es nicht besser zu werden, obwohl da ja schon eine Menge Wiederholungen drinsteckten. Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Abfahrt in der Schweiz, dem Land mit den wahrscheinlich steilsten, unmöglich engen und ohne jegliche Markierung grausam zu fahrenden Straßen ever, als ich tiefes Mitleid mit den Motorradfahrern hinter mir verspürte, die sich leicht genervt mit durchschnittlich 30km/h den Berg herunterbremsten und sich wahrscheinlich sehnlich den Moment herbeisehnten, wo ich anhalten und meine durch Dauerschleifen heißgebremsten Felgen kühlen würde.


Ich würde mich auch heute immer noch nicht als beste Abfahrerin der Welt bezeichnen, aber zumindest verglichen mit vielen läuft es inzwischen ganz gut, mal ganz zu schweigen von dem Fortschritt, den ich seit meinen kläglichen Anfängen gemacht habe. Was ich hier anbieten kann, ist also in erster Linie ein Ratgeber für Verbesserung, nicht für vollendete Überlegenheit und vielleicht das Wichtigste zuerst:

Es braucht dafür kein Talent (ich bin der beste Beweis).

Jede*r kann es lernen und vor allem kann man lernen, es zu genießen, was für mich wahrscheinlich die wichtigste Komponente in der Gleichung ist.



Also, was hat mir geholfen?


Nachtfahrten

Es mag erst einmal paradox klingen, aber im Dunkeln bergab zu fahren hat wahrscheinlich den größten Anteil an meiner Verbesserung gehabt.

Nachts sind die meisten Straßen ruhig, es gibt kaum Verkehr und somit auch deutlich weniger Störfaktoren, die im ärgsten Fall zu Angst und Unsicherheit beim Abfahren führen können. Natürlich kann man diese Dinge nicht immer umgehen, aber zumindest am Anfang ist es so leichter, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.


Hier die kurze Schritt für Schritt Anleitung:

  1. suche dir eine ruhige Straße, am besten zu einer Zeit, zu der es dunkel ist (früh morgens, abends, nachts)

  2. die gewählte Strecke sollte nicht zu steil und durchaus kurvig sein, (sonst gibt es nicht viel zu üben) und sollte in gutem Zustand sein, keine Risse, Splitt oder Schlaglöcher aufweisen

  3. besonders wichtig: Die Straße sollte gute Fahrbahnmarkierungen haben – eine Mittellinie, Seitenlinien und reflektierende Elemente in den Kurven

  4. ein gutes Front und Rücklicht sind Grundvoraussetzungen. Ich nutze die BBB StrikeDuo 2000, die nicht nur lange powert, sondern auch ein sehr ausbalanciertes Lichtfeld mit Beleuchtung zu den Seiten bietet. Das wird spätestens dann wichtig, wenn man Kurven schneller durchfahren möchte, da ein schmaler, nur nach vorn gerichteter Lichtpegel den Blick in die falsche Richtung lenkt (dazu gleich mehr)

Beim Abfahren kann man sich nun getrost auf die Mittellinie verlassen, ihr zu folgen war für mich das Geheimnis hin zu einer besseren Abfahrtstechnik. Es ist ein bisschen wie beim Zeichnen lernen, zunächst beginnt man als Kind mit Malbüchern und versucht einfach den äußeren Linien eines Ponys, einer Sonne oder eines Vogels mit dem Stift zu folgen. Nach und nach wird das natürlich langweilig und man beginnt, seine eigenen Linien zu entwickeln. Da scheinen das Malen von Ponys und das Abfahren auf einem Fahrrad doch gewisse Gemeinsamkeiten zu haben.

Davon abgesehen hat das Fokussieren auf die Mittellinie noch einen weiteren Vorteil: Man schaut automatisch dahin, wo man bei Abfahrten hinschauen sollte. Ich war lange so blockiert und starr vor Angst, dass ich immer nur dorthin gestarrt habe, wo ich nicht hinschauen sollte, nämlich in die Richtung, in die gerade unterwegs war. Das klingt auf den ersten Blick auch schon wieder etwas paradox, aber spätestens in einer 90 Grad Kurve wird klar, dass man besser nicht dahin schaut, wo man genau in dem Moment hinsteuert, sondern dahin, wo man hin will. Etwas weiter nach vorn zu blicken, also aus der Kurve hinaus, anstatt in den gähnenden Abgrund, ist ein wesentlicher Punkt der dafür sorgen wird, dass du deine Bremshebel nicht mehr krampfhaft umklammern musst und locker durch jede Kurve pedallierst. Abgesehen davon, war für mich die Mittellinie auch immer eine bessere Orientierung als irgendwelche theoretischen Ratschläge für "die richtige Linie", die meistens leider eher auf alltagsuntauglichen Tour de France Szenarien ohne andere Straßenverkehrsteilnehmer (Stichwort Gegenverkehr) beruhen.

Das ist im Grunde sowieso die Essenz einer guten Abfahrtstechnik: Zutrauen, in das was kommt, ein gewisser Optimismus, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, wo man hin will (die nächsten Meter der Straße) , während man das ausblendet, wo man nicht hinwill ( den Abhang hinunter oder Kopf voran in die nächste solide Steinwand).

All das fällt im Dunkeln leichter, denn abgesehen von der Straße sieht man meistens nicht viel, es gibt also weniger Ablenkung durch spektakuläre Blicke ins Tal oder Ähnliches.



Eine kürzere Kurbellänge

Für mich war die beste Veränderung, die ich mir je hätte träumen können, eine kürzere Kurbellänge zu wählen. Je nach Körpergröße und Verhältnis von Beinlänge zu Oberkörper, kann eine kürzere Kurbel viele Vorteile mit sich bringen. An dieser Stelle konzentriere ich mich ausschließlich auf die fürs Abfahren wichtigen Punkte, aber es wird wohl nicht das letzte Mal sein, dass ich dieses Thema anspreche. Ich bin von 170mm auf 160mm umgestiegen, allerdings sollte gerade bei bereits bestehenden Hüft - oder Knieverletzungen medizinischer Rat vor jeder Veränderung des Set-up eingeholt werden.

Ein Vorteil kürzerer Kurbeln ist sicherlich die Möglichkeit, tiefer in die Unterlenkerposition zu gehen, ohne sich einen Knoten in die Gedärme zu machen. Für alle Menschen, die also nicht von Mutter Natur mit einer Bergfahrerstatur gesegnet worden sind, ist eine kurze Kurbel ein prima Weg, sich beim Versuch einen Supertuck-würdigen Aeroauftritt hinzulegen, nicht das eigene Knie unters Kinn zu hauen.

Abgesehen davon lässt sich mit einer kürzeren Kurbel nahezu jede Kurve durchpedallieren, was spätestens dann ein entscheidender Faktor wird, wenn deine Bremsbeläge nicht mehr bei jeder Abfahrt glühen.


Die richtige Bremstechnik

Dazu kann und will ich an dieser Stelle nicht allzu viel sagen, denn es scheint eine höchst individuelle Angelegenheit zu sein, was die richtige Bremstechnik ist. Selbstverständlich gelten die allgemein bekannten Empfehlungen, z.B., dass man natürlich NICHT mitten in der Kurve voll in die Eisen gehen sollte. Also vorher locker anbremsen, vorausschauend fahren. Im Grunde kann man wohl sagen, den/die beste Abfahrer*in erkennt man daran, dass die Bremsbeläge lange halten. Ich persönlich habe beim Fahren mit Felgenbremsen gelernt, notgedrungen möglichst sparsam dosiert zu bremsen. Selbstverständlich ist hier von Offroad oder Gravel zu unterscheiden, ich beziehe mich in erste Linie auf Asphaltabfahrten. Lerne dein Bremssystem in allen Lagen kennen, nicht jede Bremse ist für jede Technik ideal. Zum Bremssystem gehören meiner Meinung nach übrigens auch die Reifen, denn der Grip den sie bieten ist oftmals genauso entscheidend für eine erfolgreiche (Voll)-Bremsung, wie die Bremsen selbst. Zum Beispiel fahre ich meine Reifen eher mit weniger Druck, da zumindest die Vittoria Corsa Control sonst gern mal hinten ausbrechen, aber das kann von Reifen zu Reifen variieren.


Wiederholung

Ja, ganz ohne Allgemeinweisheiten geht es nicht. Am Besten hat das Konzept des Lernens durch Wiederholung für mich bei lustigen Aktivitäten wie einem Everesting funktioniert (ich habe es gehasst). Auch wenn das sicherlich nicht jedermanns Sache ist, so ist es doch vor allem für Menschen, die in flacheren Gegenden wohnen, oft die einzige Möglichkeit, das Abfahren zu üben. Ich persönlich habe bei einem Everesting mehr übers Runterfahren gelernt als bei einem kompletten Trip durch die Alpen. Die kurze und stetige Wiederholung sorgt für eine einprägsame Erfahrung, bei der es relativ schnell möglich wird, sich auf die essentiellen Faktoren zu konzentrieren: Den eigenen Körper, wie weit man sich in die Kurve lehnen kann, die richtige Brems- und Schalttaktik, sowie die richtige Linie in der Kurve zu finden. Nach 10 Wiederholungen kennt man bereits jedes Schlagloch in und auswendig und auch der tolle Blick ins Tal (wenn er denn vorhanden ist) taugt irgendwann nicht mehr als Ablenkung. Das Gute daran: Auch die Angst lässt irgendwann durch Gewöhnung nach.


Bikepacking Wenn du für einen bikepacking trip oder ein unsupported Rennen trainierst, ist es ratsam, auch während des Trainings bereits mit Gepäck zu fahren. Ein Fahrrad verhält sich mit Gepäck etwas anders in Kurven und je nach Zuladung ist das Abbremsen inklusive Bremsweg eine ganz andere Nummer. Es hilft, diese Erfahrungen vor dem geplanten Event zu machen, auch weil aus meiner Sicht das Fahren mit Gepäck die Sensibilität für Schlaglöcher und Ähnliches erhöht. Fahren mit Zuladung verbessert notgedrungen die Fahrtechnik, denn ein Schlagloch bekommt noch einmal eine ganz andere Note, wenn man mit 10-20 kg Zuladung hinein rammscht (been there, done that).


Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass Abfahren, wenn man es richtig macht, weder besonders entspannend ist (dann bist du zu langsam ;)), noch dass es so furchtbar kompliziert sein muss. Inzwischen ist es für mich eines der schönsten Dinge überhaupt am Radfahren, auch weil es eine so tolle Metapher für das Leben allgemein ist:

Am wichtigsten ist es, Vertrauen in sich und den eigenen Weg zu haben, auch wenn man manchmal nur bis zur nächsten Biegung schauen kann.

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